Fortbewegung

Fortbewegung

Im Großen und Ganzen haben wir folgende Möglichkeiten, uns durch den Raum zu bewegen: zu Fuß – auf dem Fahrrad – im Auto – im Flugzeug. Dazwischen gibt es natürlich noch tausend Möglichkeiten, wie reiten, segeln oder die gerade aufkommenden elektrischen Roller, die haben aber keine entscheidend anderen Charakteristika.

Ich möchte einmal zusammentragen, was wir mit der jeweiligen Fortbewegung gewinnen und welchen Preis wir jeweils zahlen. Am Ende geht es um die Frage, was wir im normalen Leben tun können, um ökologischer zu leben.

Vorab eine kleine Geschichte:

Ich war eine zeitlang freier Journalist, und da muss man sich, weil die Aufträge meist nicht vom Himmel fallen, auch mal was einfallen lassen, z.B. eine Geschichte selbst machen, die man dann den Redaktionen anbietet. Zu der Zeit wohnte ich in Glücksburg an der Flensburger Förde, und hatte – wie immer – wenig Geld. Also war die Idee: Ich mache eine Wanderung immer am Strand entlang, nehme kein Geld mit und habe Regenzeug und Schlafsack dabei. Mal sehen, was passiert. Während der sechs Tage und 120 Kilometer bis nach Laboe an der Kieler Förde passierte herzlich wenig und doch war es eine der eindrucksvollsten Reisen, die ich je gemacht habe. Die Erfahrung, dass es nicht schlimm ist, mal kein Geld zu haben, war tatsächlich horizonterweiternd. Auf meine Landsleute, die mich großzügig, manchmal sogar freudig versorgten, war ich stolz. Und dass du nichts zur Orientierung brauchst, wenn du am Strand längsläufst, „Wasser links, weiter geht’s“, öffnete zusätzlich meine Sinne. So einfach war ich noch nie unterwegs gewesen, hatte null Euro ausgegeben, null fossile Energie verbraucht und null CO2 ausgestoßen (minus meinen Atem).

Nun also die Formen von Bewegung:

Nullte Dimension: sitzen. Keine Bewegung, du kannst dich voll auf das konzentrieren, was um dich herum ist und eine Veränderung dessen, was du siehst, wird es nur geben, wenn sich was verändert. Weil: Du bleibst ja, wo du bist. Das kann einen unter Umständen kribbelig machen oder eins werden lassen mit dem, was ist.

Erste Dimension: gehen. Du benutzt für die Bewegung nichts als deine eigenen Ressourcen, kommst entsprechend langsam voran, bist aber komplett in deinem natürlichen Modus. Du bist Teil der Landschaft, die vor deinen Augen wie ein Bild steht, dass sich in Zeitlupe verändert. Alle deine Sinne stehen auf „Empfang“, und wenn dich was lockt, bleibst du stehen, um es genauer wahrzunehmen. Abends siehst du auf der Karte, dass du tatsächlich eine ziemliche Strecke, vielleicht 20, 30 Kilometer, geschafft hast, bist stolz – und klebst Pflaster über die Blasen an den Füßen.

Zweite Dimension: Fahrradfahren. Du bedienst dich einer Mechanik und wirst damit zu einem modernen Menschen. Die Übersetzung der Kettenräder ermöglicht dir, deine Kraft zu vervierfachen, womit du bei gleicher Anstrengung 20km/h schaffst statt fünf und 100 Kilometer weit kommst statt 25. Dafür musst du dich aber auch mehr auf die Fortbewegung konzentrieren, weil ein Missgeschick, das dich umwirft, wie z.B. eine übersehene Baumwurzel, alle Planungen über den Haufen werfen kann. Die Umgebung nimmst du als Film wahr, Einzelheiten übersiehst du und willst du was berühren, musst du absteigen. Schon auf dem Fahrrad steht die Fortbewegung im Vordergrund deiner Wahrnehmung. Womit nicht gesagt sein soll, dass das nicht heftig Spaß machen kann, zumal ja alle Energie von dir ausgeht. Dafür braucht man dann allerdings auch eine Straße und kann sich bei weitem nicht mehr so frei und unbeschwert bewegen wie zu Fuß.

Dritte Dimension: Autofahren. Was für ein Quantensprung: Erstens musst du keine Körperenergie für die Fortbewegung mehr aufwenden. Zweitens vervierfachst du abermals deine Geschwindigkeit und kommst mit 80km/h (eine realistische Durchschnittsgeschwindigkeit auf Langstrecken) innerhalb der gleichen fünf Stunden wie Radfahrer oder Fußgänger sogar 400km weit. Und fast am besten: ohne zu schwitzen, in deinen schicksten Klamotten, ohne Wind und Regen, sogar beheizt und wenn du willst, mit deiner Lieblingsmusik. Wenn ich also heute Abend in Berlin sein wollte – was ungefähr 400km weit weg ist – müsste ich mich nur in ein Auto setzen und wäre bald da. Per Fahrrad bräuchte ich dafür vier Tage, zu Fuß drei Wochen.

Andererseits kostet mich die Fortbewegung an sich plötzlich Geld, ich muss auf eine aufwendige Infrastruktur zurückgreifen und kriege abgesehen von dem Autobahngeschehen nichts mit. Meine Mitfahrer können sicherlich aus dem Fenster gucken, ich kann das nur in Bruchteilen, weil vorn die Musik spielt. Denn wenn irgendetwas passiert, kann die Energie des Autos tödlich wirken. Im Auto geht es fast ausschließlich ums Ankommen, man sitzt in einer komfortablen Kapsel, abgeschirmt von der Außenwelt und ist irgendwann am Ziel. Dummerweise hat man auf der Strecke durchschnittlich drei Wassereimer voll Benzin verbraucht und eine fette, stinkende Fahne hinter sich hergezogen.

Vierte Dimension: Fliegen. Jetzt ist die Loslösung von der Umgebung komplett. Wir verlassen die Erdoberfläche und erfüllen uns den ewigen Menschheitstraum vom Fliegen. Zwar bewegen wir uns mit der zehnfachen Geschwindigkeit eines Autos (800km/h) und können in fünf Stunden auf einem anderen Kontinent sein, langweiliger Weise sieht die Bewegung aus dem Fenster betrachtet jedoch sehr langsam aus. Abgesehen von der spektakulären Perspektive, für die frühere Menschen so ziemlich alles gegeben hätten, ist Fliegen in einem Passagierflugzeug sehr monoton. Klar, bei Start und Landung spürt man die unglaubliche Energie, die aufgewendet wird, ansonsten ist es aber ein leise dröhnendes Kontinuum, das uns zu einem Sehnsuchtsort bringt, während wir sitzen und warten. Und es bedeutet, dass, wenn ich fünf Stunden lang fliege und dabei 4000km zurücklege, ein 300 Liter Benzinfass nur für mich verbrannt wurde.

Zusammengefasst in einer Tabelle:

Durchschnittliche Geschwindigkeit in km/h Zurückgelegte Distanz bei 5 Std effektiver Bewegung Verbrauch
Zu Fuß 5 25 km Stulle & Saft
Fahrrad 20 100 km Stulle & Saft
Auto 80 400 km 30 Liter Benzin
Flugzeug 800 4000 km 300 Liter Benzinäquivalent

Anmerkungen:
– Das Auto ist nur mit einer Person besetzt und verbraucht rund 7,5 Liter Benzin/100km (Durchschnittsverbrauch aller Autos in Deutschland 2017.)
Quelle:https://de.statista.com/statistik/daten/studie/484054/umfrage/durchschnittsverbrauch-pkw-in-privaten-haushalten-in-deutschland/
– Ein modernes Flugzeug soll rund fünf bis acht Liter Benzinäqivalent pro Passagier und 100 Kilometer verbrauchen. (Quelle z.B. http://www.airliners.de/energieverbrauch-bahn-flugzeug-apropos/36592). Hier werden 7,5 Liter angenommen. Das gilt allerdings nicht für Kurzstrecken, weil die Startphase extrem viel Kerosin verbraucht.

Am interessantesten finde ich, dass das Flugzeug pro Nase gar nicht mehr verbraucht als ein Auto (mit einer Person), womit sich die Schädlichkeit von Flugreisen vor allem durch die weiten Distanzen ergibt. Wenn ich z.B. von Hamburg aus nach Gran Canaria fliege und auch wieder zurück, sind das insgesamt 7000km. Das ist für manchen Autofahrer die Jahresstrecke.

Das heißt auch, dass ich die Natur – und mein Ökogewissen – tatsächlich mit einem Schlag entscheidend entlasten kann, wenn ich auf Flugreisen verzichte. Und ein entsprechender ökologischer Imparativ lautet schlicht: Lass alle Flugreisen, die du nicht machen musst.

Alternative: Kaufen Sie eine Papierkarte von Ihrer Umgebung. Stechen Sie einen Zirkel in ihren Standort und ziehen Sie einen Kreis um ihr Haus. Ziehen Sie den Zirkel so weit auf, wie die Distanz lang ist, die Sie sich an einem Tag per Rad oder zu Fuß zutrauen. Auf dem Kreisbogen liegen also alle Orte, die Sie innerhalb eines Tages erreichen können (und am nächsten Tag zurück). Und innerhalb des Kreisbogens liegen alle Orte, die sie unterwegs erkunden können. Viel Spaß.

Im übrigen bin ich dafür, dass die Politik sich endlich dazu druchringt, Kerosin zu besteuern. Wenn dieses Geld in nachhaltige Verkehrskonzepte gesteckt würde, z.B.:

  • in Bahnstrecken bis 200km/h (alles drüber kostet enorm und bringt wenig),
  • in Fahrradwege wie in Amsterdam oder Kopenhagen,
  • in intelligenten Nahverkehr,

dann wären wir doch schon ein ganzes Stück weiter als heute.