Schafe als Rasenmäher

Schafe als Rasenmäher

Mitte April

Gestern habe ich zwei Heidschnucken bekommen. Es sind folgende Vorteile, die ich mir erhoffe:

– Das Grundstück, das ich zu „beackern“ habe, ist rund einen Hektar groß. Rasen gibt es bisher kaum, stattdessen ein lange nicht gepflegtes Dickicht aus Brombeeren, Disteln, kleinen Weihnachtsbäumen, Brennnesseln und Weidensprößlingen. Mit den Brombeeren liefere ich mir einen sportlichen Wettkampf, die Weihnachtsbäume werden Advent für Advent wengier werden, aber ansonsten darf wachsen, was will. Hier mit einem Rasenmäher durchzustarten, wäre albern. Schafe hingegen könnten das Wachstum regulieren.

– „Tiere sind die Seele eines Hofes“, hat mal eine kluge Bäuerin zu mir gesagt. Nun habe ich zwar keinen Hof, aber eine Scheune mit großem Garten, wo mehrere Seelen Platz haben.

– Eigentlich hätte ich gern ein Haustier. Katzen sind allerdings nicht so mein Ding und mit einem Hund kann man sich ja kaum frei bewegen. Schafe hingegen turnen einem nicht auf dem Esstisch rum und müssen auch nicht Gassi gehen. Sie passen sich überwiegend selbst, brauchen im Sommer nur Trinkwasser, und alles, was auf dich zukommt, ist Fingernägelschneiden und Friseur. Heute müssen sie noch im Stall bleiben, sollen sich erst vom Stress erholen.

Da stehen sie und gucken mich mit großen Augen an. Schöne Tiere: aufmerksamer Blick, eine Matte wie Bob Marley und der warme Grasgeruch von Wiederkäuern. Allerdings sind sie stumm – könnten ruhig mal was sagen. Aber wahrscheinlich sind sie noch stinkig auf mich, denn die Prozedur vom Anhänger, in dem sie gebracht wurden, quer durch die Scheune bis in den Stall im Garten war Panik pur.

„Du nimmst eines, ich nehme eines“, hatte Freund Jörn gesagt, „pack es einfach bei den Hörnern.“ Das Schaf, das eben noch lammfromm im Hänger gestanden hatte, witterte Morgenluft und tanzte mit mir spazieren. Was für eine Kraft so ein Tier in Panik hat. Mein gutes Zureden brachte natürlich gar nichts, so belies ich es bei dem Mantra „Ich bin stärker als du, ich bin stärker als du..“. Bis beide dann im Stall standen, zitternd, starr und mit einem Blick in dem die bösesten Flüche lagen.

„Lass sie zwei Tage drin, damit sie wissen, wo ihr Zuhause ist. Sprich mit ihnen, sag immer dasselbe, beweg dich langsam und gewinn Vertrauen mit Futter.“
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Ich arbeitete die letzten Tage also im Garten, baute den Zaun zuende und redete und sang alles, was sich auf „Heidi und Schnucki“ reimt – denn so heißen die beiden jetzt.

Sie sind einjährig und bisher auf einem Hof in einer großen Herde gelaufen. Viel Auslauf, viel Distanz zu Menschen. Nun müssen sie sich daran gewöhnen, mit mir einen Garten zu teilen. Ich bin gespannt, wie weit ihr Vertrauen wachsen wird, aber verschmuste Haustiere werden sie wohl nicht werden. Anders vielleicht mit meinen Kindern, die es mit Löwenzahnblättern an Stockangeln und Engelsgeduld schafften, dass die beiden neugierig bis kurz vor Tuchfühlung kamen.

Und schließlich der große Moment, als ich den Stall aufmachte. Wie würden sie reagieren? Wie die Berserker an mir vorbeirennen? Nee, gar nicht. Eher fragende Blicke. Wie jetzt, wir dürfen raus? Keine Finte?
„Mädels, nu kommt, die große Freiheit, für immer, juhuu.“
Nix. Ach klar: Ich war im Weg. Und nachdem ich mich unsichtbar gemacht hatte, überwog doch die Neugier. Langsam und als könnten sie es kaum glauben, kamen sie heraus und fingen gleich an zu fressen.

Heute morgen dann ging ich mit meinem Achtung-ich-komme-Singsang durch den Garten. „Heidiii, Schnuckiii“ – manchmal ist es gut, keine Nachbarn zu haben – aber nichts zu sehen. Keine Schafe. Was? Die KÖNNEN nicht abgehauen sein, rundherum Zaun, höher als gegen Wölfe. Bis ich sie gut versteckt zwischen Weiden, Brombeeren und Weihnachtsbäumen entdeckte. Entspannt, ohne Fluchtreflex. Gewonnen.

Nun können sie ihren Job machen und wenn alles gut geht, auch über Winter bleiben. Und wer weiß: Osterlämmer nächstes Jahr? Meine Kinder hätten da mal so gar nichts gegen.
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Zwei Wochen später: Noch immer sind sie aufmerksam, wenn ich durch die Gartentür gehe, und hauen ab, wenn ich zu dicht komme. Rund vier Meter ist die Fluchtdistanz. In der gleichen Entfernung bleiben sie allerdings auch liegen, wenn ich Holz hacke. Sie sitzen auch nicht mehr immer eng beisammen und flitzen in unterschiedliche Richtungen, wenn ich mal durch muss.

Mittlerweile stört es mich, dass sie argwöhnisch bleiben, schließlich bin ich wirklich nett, respektvoll und freundlich. Es ist ein blödes Gefühl, wenn Mitbewohner vor einem Angst haben. Habe mich aber auch noch nicht so richtig bemüht. Jörn hatte mir einen Sack  Trockenfutter mitgegeben, dass sie gern mögen. „Wenn du das in eine Schale gibst und immer raschelst, wenn du zu ihnen gehst und dabei ihre Namen sagst, kommen sie irgendwann“, hatte Jörns Frau Petra gesagt.

Anscheinend haben sie ihr neues Zuhause jetzt angenommen, haben Wege getreten, ihre Liegestellen gefunden und machen einen recht entspannten Eindruck. Nur eine Sache geht noch nicht so richtig auf: Anstatt das wilde grüne Durcheinander kurz zu halten, äsen sie mit langen Hälsen an den Weidensprösslingen entlang, weil die Kätzchen wohl am besten schmecken. Ansatzweise steigen sie dabei auch, aber mit zu wenig Balance, und abstützen kann man sich an einem fingerdicken Weidenstab nun mal nicht. Schnucki – die Dunklere – hat dabei herausbekommen, dass sie den Spross mit ihrem Bauch umdrücken kann, wenn sie nur ein bisschen nach vorn geht. Echt clever. Denn die meisten Weiden sind auf Kopfhöhe bereits abgegrast. Heidi kommt dann an und frisst mit. Selbst kapiert hat sie diesen Trick noch nicht. So ein bisschen wie Dick und Doof.

Die Brennnesseln werde ich also selbst wegsensen müssen, damit das Gras eine Chance hat.

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So langsam werden sie selbstbewusster, latschen über ein großes Stück Wellblech, wenn das die Abkürzung ist und traben aus Lust und Laune.
Freitags ist hier immer Kindertag, vorgestern waren sie zu fünft, alle Grundschulalter. Normal sind Einradfahren und „Versteckspielen mit Abklatschen“ die Renner, seit Heidi und Schnucki stehen die Schafe aber oben aufm Programm. Aus Angst, die Kinder könnten die Schafe verängstigen, hatte ich ihnen anfangs gesagt, dass die beiden sozusagen im Krankenhaus sind, „haben einen schweren Schock, mussten aus der Herde raus“. Und es war wirklich süß zu beobachten, wie vorsichtig sie sich anpirschten. Ich holte schnell die Kamera, als fünf Kinder in Reihe auf den Schienbeinen vor ebenso interessierten Schafen saßen. Als sie im Chor leise „Heidii, Schnuckiii“ sangen, hab ich innerlich gejubelt. Irgendwann war natürlich vorbei mit lieb und so musste ein bisschen nachgeholfen werden. Die Kinder robbten näher ran, bis die Schafe plötzlich synchron wegflitzten. Es entwickelte sich ein Spiel aus anpirschen und abhauen, das die Tiere nicht zu stressen schien. Hatten die da etwa Lust drauf? Dann machen wir im Herbst die erste Vorführung des ersten Schafzirkus der Welt.
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Mitte Mai:
Seit Tagen beobachte ich, dass die Schafe nicht nur die leckeren Weidenkätzchen abfressen, die nach meinem Gusto eigentlich bleiben könnten, sondern sich zunehmend auch für die Gewächse interessieren, für die ich sie ja eigentlich angestellt hatte: Brombeeren und Brennnesseln. Der Trick: An die frischen Triebe gehen sie nicht ran, was ich aber absense und liegenlasse, ist ein paar Tage später anscheinend sehr bekömmlich. Damit kann ich festhalten, dass sie sehr gut geeignet sind, meinen Garten zu kultivieren und das ohne Lärm und Abgase, ganz nebenbei und ohne, dass ich mich groß kümmern muss. Mädels, das macht ihr super.