Insektensterben
Im letzten Sommer – 2018 – kam das Thema auf. Bei Zählungen war herausgekommen, wie wenige Insekten es noch gibt. Mittlerweile wurden in Bayern die Forderungen des Volksbegehrens zum Schutz der Artenvielfalt zum Gesetz und aktuell – 11. Mai 2019 – titelt sogar der Stern für Bienen und Brummer. Alle über 40jährigen können sich zudem gut daran erinnern, wie häufig man früher im Sommer die Windschutzscheibe an der Tanke von Insekten säubern musste, heute – zweifelhafte Freude – kann man sich das sparen. Eigene Erfahrung deckt sich also mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, eine seltene Koalition, die aufschreckt und zu neuem Handeln führt.
Plötzlich sind Steingärten und Golfrasen aus der Mode, streuen Aktivisten Samen auf Verkehrsinseln. Ich selbst bin kein ausgewiesener Gartenfetischist und vielleicht ist es genau das, was wir brauchen: Lass wachsen!
Im letzten Sommer, als es so wenig regnete, dass man von Dürre sprach, dass die Bauern ernsthafte Ernteausfälle meldeten, dass schleswig-holsteinische Flächen bewässert werden mussten wie Felder in Südeuropa, bekam ich einen Garten.
Der Streifen rund um die Scheune, die ich pachten konnte, war so lange nicht gepflegt worden, dass ich anfangs die Türen kaum aufbekam. So hoch waren die Brombeeren gewachsen, teils bis in die Dachrinne, ein Dornröschenschloss. Weil ich im ersten Jahr andere Sorgen als den Garten hatte, war alles, was ich im Frühling machen konnte, die Brombeeren kurzzuschneiden, damit man zumindest mal sehen konnte, was da noch so wächst.
Im Nu entwickelte sich ein rund einen Meter hoher Miniurwald aus Weidensprösslingen, Brennnesseln, Disteln und anderem Gewächs. Während sich auf den umliegenden Flächen, egal, ob Feldern oder gemähten Gärten das große Braun ausbreitete, blieb bei mir alles grün. Die Distelblüte war besonders schön. Abends war es ein Genuss, den Schwalben bei ihren Kunstflügen zuzusehen, wenn sie die schwirrenden Insekten wegfingen. Ich denke, es war das dichte Blattwerk, das verhinderte, dass die Sonne den Boden verbrennen konnte und so blieb es grün und vielfältig lebendig bis in den Herbst.
Nachteile hatte ich dadurch nicht, weil ich die Wege, die ich brauchte, ja von allein plattlief. Im Gegenteil: Es entwickelte sich genau das, was man gemeinhin als „im Einklang mit der Natur“ bezeichnet. Ein sehr harmonisches Grundgefühl, Motto: Wo ich lang muss, ist platt, ansonsten darf hier wachsen, was will. Anstatt also, wie es gemeinhin die Art ist, den Garten anzulegen und nach eigenem Gusto zu gestalten, überließ ich diese Aufgabe der Natur. Und die konnte das augenscheinlich besser als die Gartenenthusiasten in der Umgebung, die selbst dann noch mähten, als das Gras mangels Regen gar keine Kraft mehr hatte.
Dieses Jahr habe ich nun Schafe als Gärtner angestellt, was die Vegetation durch Fraß und Vertritt schon mächtig verändert hat. Der Bewuchs wird knapp über der Krume kurzgehalten, was ich dann doch ganz schön finde, zumal sie sehr strebsam und akkurat alles wegfressen, sogar die frischen Brombeertriebe. Das ist echte Entspannung, weil ich im Frühjahr nach nur einem Jahr schon wieder bis zu zehn Meter lange, stachelige Triebe hatte kappen müssen. Wahnsinn: Ist das noch Wachstum oder eigentlich schon Bewegung? Ich bin gespannt, wie sich der Garten entwickeln wird und eine neuerliche Dürre würde jetzt wohl auch hier durchschlagen, doch bisher hat es ganz normal geregnet. Am Ende würde ich dafür sprechen, dass Schafe zur Natur gehören, anders als Rasenmäher. Und genau das ist der Punkt.
Was ist eigentlich so toll an Englischem Rasen? An hochgezüchteten Blumen, die ökologisch nichts beitragen? An gestalteter Ordnung, die durch Gift oder Gasflammen begradigt wird? Ich weiß, dass man das nicht sagen darf, aber es erinnert mich an Säuberungsaktionen, die das eine favorisieren und das andere ausmerzen wollen. Lasst uns doch mal davon wegkommen, dass Disteln gestochen werden müssen, irgendwelche Superblumen dagegen mit „Spezialdünger“ gepäppelt werden. Und der Hohn ist doch geradezu, dass blühende Rapsfelder, die nichts als chemisch gestylte Monokultur darstellen, gerade hier in Schleswig-Holstein quasi als Teil der Landesfarben angesehen werden, Weiden voll gelb blühendem Löwenzahn dagegen mit Glyphosat traktiert werden.
Weder bin ich fachlich in der Lage, mich mit den Landwirten anzulegen, noch möchte ich in die psychologischen Tiefen giftspritzender Hobbygärtner einsteigen. Lasst uns einfach eine neue, liberale Gartenmode einführen, eine Willkommenskultur für alles, was blüht und krabbelt. Wir schaffen das – müssen nur wollen.